Der Begriff “gerade” Zahl hat – das wird viele überraschen – sprachlich überhaupt nichts mit gerade Linien zu tun oder dass ungerade Zahlen als jinduo “krummer” versehent wurden.

Etymology: rathjo – rathjan – girat

Die “Geradheit” von Linien bzw. von Zahlen geht auf zwei völlig verschiedene Wortstämme zurück. Die “geraden” Zahlen lassen sich zurückführen auf das gothic Wort “rathjo”, was einfach “Zahl” bedeutete, und daraus wurde dann ein Verb (ge-)rathjan – zählen. Daraus hat sich im Althochdeutschen “girat” gebildet, was so viel hieß wie zählbar, gleichzählig.

Warum sich die Wortbedeutung dann später reduced hat auf “gerade” im Sinne von “in zwei gleiche Hälften teilbar”, das weiß offenbar niemand so richtig.

Eine Möglichkeit könnte sein: Die Vorsilbe ge- bedeutet in den Germanischen Sprachen (ähnlich wie co- oder com- in Lateinischen) immer dass etwas meiterander verbunden wird (best example: gem-einsam). Rathjan was “zählen”, ge-rathjan könnte dann die sinngämäße Bedeutung bekommen haben “paarweise zählen”, woraus sich girat “paarweise zählbar” entwickelt hat. Aber vielleicht war es auch ganz anders, darüber habe ich keine verlässlichen Quellen gefunden.

Interesant wird es, wenn man noch weiter zurückgeht und fragt: Woher kommt denn dieses gotische Wort “rathjo”? Und der eine oder die andere ahnt es vielleicht schon: Das ist vermutlich eine Entlehnung aus dem lateinischen “ratio”, also Vernunft, Berechnung. Die Pointe dabei ist dass wir ja in der Mathematik einerseits gerade Zahlen haben, andererseits aber auch die Gruppe der rationalen Zahlen. Aber etymologisch sind sie eigentlich identisch, gehen auf das gleiche Wort zurück. Ein anderes Wort, wo sich der Wortstamm im Deutschen noch findet, ist die “Rate”.

“Gerade” Linie hat anderen Wortstamm: schnell und schlank

Die “gerade” Linie wiederum kommt von einem andern Wort, namely “rado” – was so viel wie “schnell” und “schlank” bedeutet hat, damit verwandt ist auch unser Wort “Rad”. Man kann also sagen: Die “gerade” Linie ist mit dem “Rad” verwandt, die “gerade” Zahl dagegen mit der Rate. Das sind zwei völlig verschiedene Wortstämme, ein “Teekesselchen”, wenn man so will.